Einige Artikel und Blogbeiträge beleuchten in diesen Tagen, wie die Coronapandemie zeigt wie wichtig offene Wissenschaft ist und wie die Krise diese auch befördert. Es stimmt, momentan ist zu beobachten, wie Verlage (ausgewählte) Publikationen (temporär) frei zugänglich machen, wie Datensätze insbesondere zu Corona veröffentlicht werden und wie Lehrende ihre Lehrmaterialien teilen.
Ein wichtiger Aspekt wird in dieser Diskussion dennoch übersehen. Offene Wissenschaft heißt eben nicht nur Open Access, Open Data oder Open Code sondern auch Teilhabe. Und die ist in der Wissenschaft gerade äußerst problematisch. Was Forschung angeht, wie auch Lehre. Studierende beklagen, durch wegfallende Jobs, unterschiedliche technische Voraussetzungen oder familiäre Betreuungsaufgaben, Probleme zu haben, ihr Studium weiterzuführen. Das betrifft gerade Studierende aus Nicht-Akademiker-Familien. So wird die gesellschaftliche Schere beim Thema Hochschulausbildung gerade wieder größer.
Ähnlich sieht es im Bereich der Forschung aus. Viele Journals berichten, dass Frauen momentan viel weniger Artikel einreichen und so die mühsam abgebaute Geschlechterkluft in der Wissenschaft wieder Einzug hält. Frauen sind vor allem betroffen, weil sie häufig die Kinderbetreuung übernehmen. Aber natürlich kommen gerade auch Männer mit familiären Verpflichtungen nur zum allernötigsten. Auch hier wirkt ein zusätzlicher Ungleichmacher. Wer es sich leisten kann, besorgt sich alternative Kinderbetreuung. Wer es sich nicht leisten kann, versucht zu Hause alles zu jonglieren.
Weil die Länder und Universitätsleitungen sich – nicht zu unrecht – dafür entschieden haben ein möglichst vollwertiges digitales Semester anzubieten, geht die sowieso schon knappe Zeit für viele gerade für die Produktion digitaler Lehre drauf. Forschungsprojekte und Publikationen bleiben liegen. Das ist gerade für den wissenschaftlichen Nachwuchs problematisch. Wir werden wahrscheinlich eine deutliche Produktivitätslücke zwischen jenen mit Familie und jenen ohne sehen. Vielleicht auch erst in Jahren. Soviel zur Wissenschaft als familienfreundlicher Branche. Nicht.
Natürlich ist das auch Jammern auf hohem Niveau und es gibt sowohl Branchen als auch Familienkontexte die deutlich schlimmer von der Krise betroffen sind. Aber wenn die Rede davon ist, dass die Krise die Offenheit der Wissenschaft stärkt, muss auch dieser Aspekt mitbedacht werden. Zu hoffen bleibt, dass in zukünftigen Besetzungsverfahren Rücksicht auf diesen Rückstand genommen wird, ansonsten sehe ich schwarz für mehr Frauen und Menschen mit Familienverantwortung in Professuren.