Doktorandinnen, die von offener Wissenschaft überzeugt sind und ihre Daten veröffentlichen wollen, unterlassen dies dennoch häufig aufgrund vermeintlicher formaler Hürden und fehlender Ansprechpartnerinnen (Kindling 2013: 20f.). Weil auch ich die Daten, die meiner Dissertation zugrunde liegen, veröffentlichen möchte, habe ich mich lange und an vielen Stellen informiert, was auf welche Art und Weise erlaubt und möglich ist. Um anderen den Entscheidungsprozess hin zu offenen Forschungsdaten aus der Promotion zu erleichtern, möchte ich im Folgenden skizzieren, welche Punkte ich abgewägt habe und warum ich zu welchen Entscheidungen gelangt bin.
Wem gehören eigentlich ‚meine‘ Daten?
Immer wieder kursiert das Gerücht, dass Forschungsdaten, die im Rahmen einer Anstellung als Doktorandin oder auch Postdoktorandin an einer Universität entstehen, der Universität ‚gehören‘. In Deutschland ist dies in der Regel nicht so. Hierfür ist es zunächst wichtig zwischen Urheber- und Nutzungsrechten zu unterscheiden. Das Urheberrecht an Forschungsdaten haben die Forschenden, die an der Datenerhebung maßgeblich beteiligt waren. Also beispielsweise diejenigen, die ein Fragebogendesign entwickelt und eine Befragung durchgeführt oder etwa im Feld beobachtet haben. Wichtig ist, dass ein Urheberrecht nur entsteht, wenn tatsächlich ein Werk geschaffen wird. Das ist beispielsweise nicht der Fall, wenn ein Satellit automatisiert Daten auswirft, die dann analysiert werden können oder wenn vorhandenes Material, wie Steine oder Werke anderer, gesammelt werden. Statt einem Urheberrecht können auf diese Datensammlungen aber Datenbankrechte entstehen. Schwieriger ist dies mit Datenmaterial, auf das andere einen Urheberrechtsanspruch haben, etwa Filme, Fotos oder Literatur. Hier muss im Einzelfall geprüft werden, ob eine Veröffentlichung als Datensatz dennoch möglich ist.
Wer jedoch Urheber eines Werkes ist, kann dieses persönliche Recht, zumindest nach deutschem Recht, nicht abtreten. Abgetreten werden können jedoch Nutzungsrechte. Dies geschieht in der Regel, wenn Lizenzen vergeben oder beispielsweise Verlagsverträge geschlossen werden. Ein Nutzungsrecht an Forschungsdaten kann durchaus an den Arbeitgeber übergehen, dies muss aber im Arbeitsvertrag festgehalten sein. Wenn letzteres der Fall ist, steht aber dennoch zur Disposition, ob dies nicht angefochten werden könnte. Denn Nutzungsrechte dürfen eigentlich immer nur an einem konkreten Werk abgetreten werden und nicht generell für eine Arbeitstätigkeit.
Zusammengefasst heißt das: meine Diss-Daten ‚gehören‘ in den meisten Fällen und in den Sozialwissenschaften in der Regel tatsächlich mir, möglicherweise aber auch anderen Miturhebern aus dem Forschungsteam. Über die Weiterverwendung von Forschungsdaten entscheiden alle Urheber gemeinsam. Das heißt mit einer Veröffentlichung der Daten müssen alle Urheber einverstanden sein. Wenn die Daten dann veröffentlicht werden, treten die Urheber bestimmte Nutzungsrechte an ihrem Datenwerk ab. In welchem Umfang genau, regelt die festgelegte Lizenz. Es bestehen in der Praxis jedoch berechtigte Zweifel, ob es sinnvoll ist, eingeschränkte Lizenzen auf Datensätze zu vergeben. Eine nicht-kommerzielle Nutzungseinschränkung (CC by-nc) etwa würde die Weiterverwendung der Daten in der Wissenschaft untersagen, denn ein Wissenschaftler würde damit streng genommen sein Geld verdienen. Eine Einschränkung der Rekombination und Veränderung der Daten (CC by-nd) würde beispielweise die Analyse von einer Kombination aus mehreren Datensätzen untersagen.
Geht das überhaupt im Promotionsverfahren?
Es spricht zunächst einmal formal nichts gegen die Veröffentlichung von Forschungsdaten, die im Rahmen einer Dissertation erhoben wurden. Ganz im Gegenteil arbeiten manche Doktorandinnen sogar mit bereits veröffentlichten Daten. In jedem Fall sollte zunächst ein Blick in die eigene Promotionsordnung geworfen werden. Hier werden aber zum jetzigen Stand an deutschen Universitäten weder Angaben zum Forschungsdatenmanagement im Allgemeinen, noch zur Datenpublikation gemacht. Wichtig ist es jedoch meiner Ansicht nach den Zeitpunkt der Datenpublikation zu bedenken. Denn veröffentliche ich Daten aus meinem Dissertationsprojekt direkt nach dem Erheben, ohne selbst schon einen Artikel oder die gesamte Dissertation zu diesen Daten veröffentlicht zu haben, kommt mir möglicherweise eine andere Wissenschaftlerin zuvor und meine Doktorarbeit oder ein Teil davon hat keinen Neuigkeitswert mehr.
Auch sollte mit Doktormutter oder -vater Rücksprache über eine Datenpublikation gehalten werden und eine solche nicht gegen deren Willen geschehen. Wer schon früh weiß, dass die eigenen Forschungsdaten veröffentlicht werden sollen, sollte das früh im Betreuungsverhältnis zur Diskussion stellen und gegebenenfalls die Betreuerin entsprechend auswählen.
Wann und wie veröffentlichen?
Ich habe mich bei meiner eigenen Promotion dagegen entschieden, die erhobenen Befragungsdaten direkt nach deren Erhebung zu veröffentlichen. Ich habe viel Arbeit in die Konzeption der Datenerhebung und deren Durchführung gesteckt und möchte diejenige sein, die auf Basis dieser Daten zuerst publiziert. Daher kommen für mich zwei Szenarien in Frage: (1) ich veröffentliche die Daten als Zusatzmaterial zu einer ersten Publikation. Eine solche Variante bietet sich vor allem für kumulative Promotionen an. Wenn auf Basis der gleichen Forschungsdaten jedoch auch ein weiterer Artikel geplant ist, sollte auch hier abgewogen werden, ob die Gefahr besteht, dass einem damit jemand zuvorkommen könnte, wenn die Daten frei verfügbar sind.
Wenn die im Dissertationsprojekt erhobenen Daten jedoch nicht nur aus Transparenz- und Replikationsgründen an einer Veröffentlichung ‚dranhängen‘ sollten, sondern diese es wert sind auch von andern Wissenschaftlerinnen analysiert zu werden, dann bietet sich eine eigenständige Datenpublikation an. Hier kann eine (2) Embargolösung gewählt werden. Embargos kennen viele als von Verlagen auferlegte Frist, die bis zur eigenen offenen Veröffentlichung von Artikeln auf grünem Wege eingehalten werden muss. Auch Datenrepositorien bieten solche Embargolösungen an. Dann kann ein Datensatz zwar schon hinterlegt, Metadaten zugänglich gemacht und der Datensatz schon mit einer DOI versehen werden, aber in die Daten tatsächlich hereinschauen oder diese sogar verwenden, kann eben noch keiner. Vorteil einer eigenständigen Datenpublikation ist dann beispielweise, dass zählbare Zitationen dieser Daten möglich sind.
Zusammengefasst: Zunächst sollte man ehrlich entscheiden, ob eine Datenpublikation als Anhang einer Textpublikation ausreicht oder ob die erzeugten Forschungsdaten tatsächlich eine eigenständige Datenpublikation wert sind. Dann sollte, und das ist sicher immer auch eine karrieretaktische Entscheidung, überlegt werden, zu welchem Zeitpunkt im Promotionsprozess die Daten veröffentlicht werden sollen.
Wer kann bei der Entscheidungsfindung helfen?
Promotionsbetreuende, bereits promovierte Kolleginnen aus der Fachgemeinschaft, Forschungsdatenreferentinnen, Bibliothekarinnen, Open Access-Beauftragte, Promotionsbeauftragte – je nach konkreter Fragestellung! Die eigenen Promotionsbetreuenden und andere Wissenschaftlerinnen aus dem eigenen Fachgebiet sollten Auskunft darüber geben können, ob und auf welche Weise Datenpublikationen im Fachgebiet üblich sind und welche Chancen, aber auch Hürden, diese möglicherweise für eine weitere wissenschaftliche Karriere bieten. Für rechtliche und technische Fragen können in den meisten Universitäten die Referentinnen für Forschungsdatenmanagement oder Open Access befragt werden, die zumeist an den Universitätsbibliotheken angesiedelt sind. Auch Mitarbeiterinnen von Forschungsdatenrepositorien oder Forschungsdatenzentren können Auskunft geben. Etwa kann für sozialwissenschaftlichen Themen die Projektberatung beim Gesis in Anspruch genommen werden. Zudem arbeiten universitätsübergreifend gerade einige Projekte an Richtlinien und Leitfäden für das Management und die Publikation von Forschungsdaten. Das Projekt DataJus an der TU Dresden beschäftigt sich etwa mit den rechtlichen Rahmenbedingungen von Forschungsdaten und deren Management. Im Projekt FDMentor sollen Strategien für das Forschungsdatenmanagement an Hochschulen und entsprechende Beratungs- und Trainingskonzepte entwickelt werden.
Meine eigene Entscheidung?
Nachdem ich mir zu Beginn meiner Promotion ziemlich sicher war, dass ich meine Daten rasch veröffentlichen möchte, haben sich vor allem nach Gesprächen mit Kolleginnen aus meinem Fachgebiet Zweifel eingestellt. Ich habe viele meiner Fragen ausführlich mit allen möglichen oben aufgezählten Ansprechpartnern besprochen und von allen Seiten beleuchtet. Nachdem ich zwischenzeitlich entschieden hatte, die Daten meiner Dissertation erst mit Beendigung des Promotionsverfahrens zu veröffentlichen, sympathisiere ich gerade sehr mit einer Embargolösung in einem Datenrepositorium.
Gerade weil offene Forschungsdaten, und dann auch noch die einer Dissertation, in den Sozialwissenschaften überhaupt nicht verbreitet sind, ist es nicht einfach als Doktorandin eine zufriedenstellende und unkomplizierte Antwort auf die Frage ‚Daten teilen oder nicht teilen‘ zu bekommen. Eben weil dieser Entscheidungsfindungsprozess nicht einfach ist, sollte meiner Ansicht nach jede Promovierende schon frühzeitig im Promotionsprozess zumindest beginnen, sich mit dieser Frage auseinander zu setzen.